Samstag, 14. September 2024

Zum Tage: In 90 Minuten

1984: „Wenn man in der Lage ist, in 90 Minuten um die Erde zu fliegen, dann empfindet man es plötzlich als aberwitzig, dass dort unten noch Kriege ausgefochten wierden, dass Hunger herrscht und dass die Umwelt nur materieller Vorteile wegen belastet wird.“

Ulf Merbold (*1941) war 1983 erster westdeutscher Wissenschaftsastronaut. Er war zehn Tage an Bord des Space Shuttle Columbia und nahm damit am Jungfernflug des integrierten Spacelabs teil, in dem 73 Experimente durchgeführt wurden. Aus GEO, Januar 1984

Freitag, 13. September 2024

Zum Tage: Dampfmaschine

 

2003: „Die Dampfmaschine war der größte Revolutionär des 19. Jahrhunderts.“

Michael Stürmer (1938), deutscher Historiker


Donnerstag, 12. September 2024

Zum Tage: Meinte er vielleicht schon die Digitalisierung?

„Elektrizität ist der oberflächliche Prozess, worin die Differenzen ihre Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig sind.“

Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831), deutscher Philosoph

Mittwoch, 11. September 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 67): Der ungefährliche Weg

»Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige sein, kraft welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste.« 

 Friedrich Schelling (1775–1854), deutscher Philosoph 

 

Ist Big Data der neue Übermensch? Schaufenster in Zürich 2020 Quelle: R.V

 

 

 

 

 

D

Dieser Artikel erschien in seiner Urform bereits am 31. März 2021 - während der Pandemie. Ich habe ihn überarbeitet und veröffentliche ihn nochmals, weil sich meine Gedanken geändert haben und sich ein nachfolgender, bislang unveröffentlichtes Gedankenexperiment auf ihn bezieht und auf ihm aufbaut. Vielleicht ist diese Revision auch nach drei Jahren noch einmal lesenswert - zumal mit den Erfahrungen von heute. 

  

 Digital sind wir überall

  Von Raimund Vollmer 

Unsere ganze Existenz hebt sich empor zu Big Data. Es ist Big Time. Es herrscht Corona. In uns und durch uns. Wir, die wir doch von uns behaupten eine „Sonderstellung“ in der Welt zu besitzen, nicht unbedingt ein „Geschöpf Gottes“, aber auch kein „arrivierter Affe“ zu sein, sondern eher ein „Mängelwesen“, wir, wir erheben uns zu einer virtuellen, einer außermenschlichen Existenz, zu Big Data.

So möchte man mit Begriffen des deutschen Philosophen Arnold Gehlen (1904–1976) spielen, um zu verstehen, was gerade mit uns geschieht. Mit uns, den Menschen. Durch uns, durch unsere Daten. Ob mit Corona oder wegen Corona.

Wir sind zuhause. Zwangsweise. „Zuhause bleiben“, heißt es. Nicht nur wegen Corona. Denn wir sind überall zuhause. Global. Schon längst. Der Mensch ist überall. „In Eis und Schnee nicht weniger als in Wüste und Hitze“, meinte 1993 der deutsche Philosoph Henning Ottmann (*1944), sich auf Gehlen beziehend.[1] Im Wasser und auf See. Im Weltall und auf dem Mond. Nun ist unsere physische Existenz eingekerkert, während unsere Daten überall zuhause sind. Digital sind wir überall. Unterwegs und zuhause.

Nur das „Mängelwesen“, unser Körper, bleibt also daheim. Was in der Welt zählt, sind die Daten, unsere Daten, gehütet von mächtigen Institutionen, „die Normierung und Gesetzlichkeit, Selbstbescheidung und Verantwortlichkeit individuellen wie kollektiven Lebens steuern sollten“, wie die 'Neue Zürcher Zeitung' 1976 anlässlich des Todes von Arnold Gehlen schrieb und sich fragte, ob dessen Vorstellung vom „Staat nicht allzu sehr Hobbes' 'Leviathan' schmeichelt“.[2] Denn dieser Staat soll die Menschen auch vor den zersetzenden, den anarchischen Ideen der Intellektuellen schützen.

Der Atem der totalen Vernunft weht über uns, lässt uns nicht mehr auf dumme oder krumme Gedanken kommen.

„Von Tacitus gibt es das Wort ‚Alle Sklaven sind sklavisch‘“, zitierte 2006 Quentin Skinner (*1940), britischer Historiker und Politikwissenschaftler, den römischen Geschichtsschreiber (58-120). „Damit wollte er“, Tacitus, „sagen: Wenn man immer nur aus den Augenwinkeln darauf schauen muss, wie der Herr das findet, was man gerade macht, verändert das den Charakter. Man landet bei der Selbstzensur.“[3]

Die hat uns längst im Griff. Sie agiert im Namen der Vernunft, zu deren „politischem Sklaventum“ (Skinner) wir verdammt sind. Schon lange vor Corona, schon lange vor Skinner. Das Virus hat lediglich das Werk vollendet. Bei Georg Büchner (1813-1837) heißt es bereits in dem 1835 verfassten Drama „Dantons Tod“: „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst.“ In seinem 1931 erschienenen Roman „Der Schlafwandler“, also ein Jahrhundert weiter, sieht der österreichische Schriftsteller Hermann Broch (1886-1951) den Menschen, wie er sich „am Faden irgendeiner kurzatmigen Logik durch eine Traumlandschaft“ tastet, „die er Wirklichkeit nennt und die ihm doch nur Alpdruck ist.“ Was wieder ein Jahrhundert später geschrieben sein wird, wissen wir nicht, aber wir kommen dieser Zukunft sehr rasch näher. Es gibt keine Drähte mehr, keine Fäden – wir funktionieren „wireless“ und virtuell. Wir müssen uns  nicht einmal mehr bewegen. Wir können zuhause bleiben. Wir werden verwaltet.

„Ich sitze hier und bin nichts“, heißt es 1910 bei Rainer Maria Rilke (1875-1926), diesem großen österreichischen Lyriker. Dessen Romanfigur Malte Laurids Brigge, dieses selbsterkannte Nichts, fragt sich: „Ist es möglich, dass man trotz Erfindungen und Fortschritten, trotz Kultur, Religion und Weltweisheit an der Oberfläche des Lebens geblieben ist?“  

Ja, es ist möglich. Schon aus purer Bequemlichkeit.

„Man ist sich in einer Sache unsicher und entscheidet sich für den ungefährlichen Weg“, analysiert Skinner. Das ist exakt der Weg der Vernunft, die „sklavische Vorsicht“, an die wir seit Kindheit eingewöhnt wurden. Im Westen wie im Osten. Skinner sagt: „Irgendwann redet man sich Gefahren ein, die gar nicht da sind, oder einen drohenden Herrn, den es gar nicht gibt, nur um den gemütlichen sklavischen Weg weitergehen zu können.“

Vielleicht liegt in diesem einen Satz mehr Wahrheit über die Erfolge der AfD und des BSW als in allen anderen Wahlanalysen. Denn beide Parteien verkaufen uns einen gemütlichen sklavischen Weg, ebenso perfide wie perfekt gestaltet als  Protest, als einen Protest gegen eine Herrschaft, die es gar nicht mehr gibt, sondern die uns nur noch vorgegaukelt wird – als staatsmännisch und gutmenschlich artikulierte Empörung über diesen populistischen Protest.

Es ist auch deswegen ungefährlich, weil sich am Ende alle Seiten irgendwie miteinander arrangieren werden – eben deshalb, weil es es für alle am Ungefährlichsten ist.

Wir nehmen uns gegenseitig gefangen. Wunderbar.

So lösen wir unsere Probleme, indem wir unsere Probleme nicht lösen. Das hat bisher immer funktioniert. Wir sind unsere eigenen Sklaven.

Darin sind wir uns doch einig, oder? Denn darauf kommt es an. Wir befinden uns in einem völlig neuen „Schöpfungsprozess für Kollektivität“, um einen Begriff des deutschen Soziologen Karl Otto Hondrich (1937-2007) zu verwenden.[4] Es ist wie beim Fußball. Meint er. Es zählt der Mannschaftsgeist, der über uns schwebt und sich uns von ganz allein mitteilt. Hondrich: "Nach einem Spiel sagen alle dasselbe. Und sie sagen es immer wieder." 

Nicht irgendwie, nicht irgendwo, nicht irgendwann. Jetzt.

Denn alles ist jetzt. Alles ist Prozess, der kein Ende findet, von dem wir nie mehr erlöst werden. Wir sind permanent dabei. Als Zuschauende. Als Teilnehmende. Als Mitarbeitende. Als Lesende. 

Als Elende. (Der Kalauer musste jetzt sein.)

Fortsetzendes folgt. 

Zum Tage: Negatives Lernen

„Es scheint in der Geschichte nur ein negatives Lernen zu geben. Man merkt sich, was man den anderen getan hat, um es ihnen anzukreiden.“

Elias Canetti (1905-1994), Literaturnobelpreisträger von 1981 und bulgarisch-britischer Schriftsteller und Aphoristiker deutscher Sprache

Dienstag, 10. September 2024

Zum Tage: Veränderbarkeit des Menschen

„Wer heute noch die Veränderbarkeit des Menschen proklamiert (wie es Brecht getan hatte), ist eine gestrige Figur, denn wir sind verändert. Diese Verändertheit des Menschen ist so fundamental, dass, wer heute noch von einem Wesen spricht, eine vorgestrige Figur ist.“

Günther Anders (1902-1992), deutsch-jüdischer Philosoph


Montag, 9. September 2024

Zum Tage: Moralischer Kompass

2014: "Die Nadel des moralischen Kompases zittert. Seit zehn Jahren sind wir in der Phase, in der sie sicheren Norden sucht. Ich bin wirklich gespannt, wann sie anhält und uns die richtige Richtung weist."

Dave Eggers (*1970), amerikanischer Schriftsteller

Sonntag, 8. September 2024

Zum Tage: Hochmut, Demut, Kleinmut

 „Demut soll nie etwas anderes sein als die Verneinung von Hochmut. Sonst wird sie Kleinmut.“

Ludwig Marcuse (1894-1971), deutscher Philosoph