Samstag, 15. Juni 2024

Zum Tage

 

1994: »Kein Richter ‑ und kein Gesetzgeber, Regulierer oder Wirtschaftler ‑ kann die Zukunft in einer Branche vorhersehen, die sich so schnell wandelt wie die Telekommunikation. Das ist der Grund, warum Wettbewerb und nicht Offizielle und Büro­kraten diese Evolution bestimmen sollten.«

Gary S. Becker, Wirtschaftsnobelpreisträger

Freitag, 14. Juni 2024

Zum Tage

 2000: »Wir betreiben heute weltweit das größte E-Business. Etwa 25 Prozent unseres Gesamtumsatzes von über 80 Milliarden Dollar sind netzbezogen.«

Erwin Staudt, Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH, im Februar 2000 im Manager Magazin

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 48): Droht uns China? (3)

 

1986

1797: „Man kann wohl mit Gewissheit sagen, dass die Welt noch nie so bunt aussah wie jetzt. Sie ist eine ungeheure Mannigfaltigkeit von Widersprüchen und Kontrasten. Altes und Neues! Kultur und Rohheit. Bosheit und Leidenschaft!... Knechtschaft und Despotism! Unvernünftige Klugheit, unkluge Vernunft!“

Friedrich Hölderlin (1770-1843), deutscher Dichter, in einem Brief[1]

 

 

Die Dementokratie

 

Von Raimund Vollmer

Während das „Christentum Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Verantwortungsräume der politisch Handelnden klar und scharf nebeneinander stellt“, wie 2005 der Politologe und frühere bayerische Kultusminister Hans Maier (*1931) bemerkte, werden diese drei Kategorien nun systematisch zu einer Rechenformel, zu einem Algorithmus vermengt.[2]

„Instant economics“ nennt dies im Oktober 2021 das britische Wirtschaftsmagazin ‚The Economist‘ – und sieht bei allen Chancen als „größte Gefahr“ eine mögliche Hybris, eine Selbstüberschätzung. Es warnt eindringlich vor jeglicher „Form von digitaler Zentralplanung“, also vor etwas, wie es die autokratische Regierung Chinas anstrebt.[3] „Es kann und darf keine einzige greifbare Instanz geben, die sämtliche gesellschaftlichen oder gar menschlichen Vorgänge (…) zugleich steuert“, schrieb 1957 der katholische Theologe Karl Rahner (1904-1984).[4]

Das wäre gottgleich. Aber genau darauf zielt das, was wir hier einmal die  „chinesische Revolution“ nennen möchten. Sie ist so etwas wie die Fortsetzung, nein, wie die Aufhebung der Französischen Revolution.

„Gäbe es ein Volk von Göttern, so würde es sich demokratisch regieren. Eine so vollkommene Regierung passt für Menschen nicht“, schrieb vor 250 Jahren der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) in seinem „Contrat sociale“.[5] Aber eine solche Regierung passt genau in das Konzept, das China nun in die Welt hineinträgt. Die Partei spielt Gott, gute hundert Jahre nach ihrer Gründung 1921 – ein Volk mit inzwischen fast 100 Millionen Mitgliedern. Aber entscheiden werden immer nur ganz wenige. Die Götter.

Diese Einparteiendemokratie wird sich über die individuellen Rechte, die wir den Monarchen und Autokraten dereinst im Gefolge der Französischen Revolution abgetrotzt haben, einfach hinwegsetzen. Sie ist Gott, der hinter dem prächtigen Schreibtisch thront“, wie es 1975 der ägyptische Schriftsteller und Nobelpreisträger Nagib Machfus (1911-2006) in seinem Roman „Ehrenwerter Herr“ über die Bürokratie formulierte.[6] Da gibt es bereits den Tugendkatalog, wie ihn China bis in den digitalen Exzess hinein installieren will. Und da ist die Angst davor, entbehrlich zu sein, dass auch alles ohne die Bürokraten „wie gewohnt weitergehen würde“, ersetzt durch eine andere Bürokratie, die des künftigen digitalen Gottes, der zu uns in wundersamen Algorithmen herabsteigt. So klammert sich in China die Parteibürokratie an ihren Gottstatus – und ihr Chef Xi lässt sich gleich auf Lebenszeit zu Gott erklären, der sich dereinst zu einem himmlischen Frieden mit Gottvater Mao und dem Heiligen Geist von Den-Xiaoping vereinen wird.

Mit ihrem Verlangen nach absoluter Macht erwischt sie die westlichen Demokratien in einer äußerst kritischen Phase. Dank Corona. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer 75 Jahre jungen Demokratie stehen die Sphären der einzelnen Bürger mit denen der Gemeinschaft in einem großen, letztlich unlösbaren Konflikt. Wir oder ich. Umwelt oder Freiheit. Geimpft oder Ungeimpft. Aber dann kam die AfD und einte die Demokratie. Jedenfalls machen die Demontrationen zu Jahresbeginn 2024 diesen Eindruck.

Es zeichnet eine Demokratie aus, dass sie genau solche Konflikte aushält – so unerträglich sie manchem erscheinen mögen.

In dieser Situation konnte sich China mit seinem Ein-Parteien-System, dem alles beherrschenden Wir, eine Zeitlang als eine attraktive Alternative zum westlichen Demokratie-Modell in der Welt positionieren – weit über die Länder hinaus, die von Peking abhängig sind, meint der ‚Economist‘. Abhängig ist doch schon die ganze Welt.  China zeigte sogar Bereitschaft, der zweigrößte Sponsor der Vereinten Nation zu werden. Und die Diplomaten ahnen längst, dass „chinesische Politik“ bald „UN-Politik“ werden soll. Die Chinesen fädelten ihre Politik sehr geschickt ein: sie besetzten die unattraktiven, unauffälligen Jobs dort – und versuchten, von dort aus ihr Netzwerk zu spinnen.[7]

Wollen wir das hinnehmen? Jetzt – und damit für alle absehbare Zukunft? Damit wäre dann wohl unser Modell zu Ende.

Es sei ein Nullsummenspiel, sagt das britische Wirtschaftsmagazin. Einerseits brauche China nach wie vor unser Knowhow, um fürderhin zu wachsen. Andererseits sähen wir in dem Aufstieg dieses Landes aber auch unseren eigenen Abstieg. Da würden sich einige schon fragen, „warum sie helfen sollten. Liberale Demokratien sind in Schwierigkeiten. Während sie erwägen, wie sie mit einem derart durchsetzungsfähigen China umgehen sollen“, sollten sie daran denken, dass sie „eine Stimme haben“ – und zwar jetzt. [8]

Denn morgen kann es schon zu spät sein. Aber sind wir uns dessen bewusst? Was ist in diesem Zusammenhang überhaupt Bewusstsein?

„Das Bewusstsein (…) ist ein Strom subjektiver Erfahrungen, die wir Moment für Moment erleben. Es ist das Realste, was es gibt“, sagt Yuval Harari (*1976), israelischer Historiker. „Es ist das einzige auf der Welt, über das es keinen Zweifel gibt.“[9] Unser Bewusstsein.


Donnerstag, 13. Juni 2024

Zum Tage

 

1998: »Die All­gegenwart des Internets - die Tatsache, dass jeder sich mit jedem verbinden kann - macht es potentiell möglich, dass ein Teilnehmer in der Wert­schöp­fungs­ket­te die Rol­le jedes an­deren besetzen kann. Haben nämlich Firmen erst einmal einen elek­tro­ni­schen Vertriebskanal eröffnet, dann können [die Teilnehmer] zu Piraten wer­den, die entlang der Wert­schöp­fungskette, nach oben und nach unten, den anderen die Mar­­gen stehlen.«

Shikhar Ghosh im Harvard Business Review

Mittwoch, 12. Juni 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 47): Droht uns China? (2)

1984

„Alles ist vergangen und verschwunden. Wirklich große Männer schauen allein auf dieses Zeitalter.

Mao Tse Tung (1893-1976), chinesischer Staatsgründer[1]



 

Jetzt oder China

Von Raimund Vollmer

 

Im Jetzt wird jeder Augenblick zum Urknall, in dem bereits alles enthalten ist, was künftig geschehen wird. Jeder Augenblick ist eine Begegnung des Jetzt mit dem Ewigen. „Jetzt ist die höhere Stufe von neu“, sagt Visch. „Im Jetzt ist man derjenige, der man schon immer sein wollte, ist man das, was der Fall ist. Jetzt ist hier, und du bist die Welt.“[1]

Alles dreht sich um alles. Revolution. Ein Begriff, der weder den Römern noch dem Mittelalter bekannt war, sagte im Jahr des Großen Jetzt, 1989, der Historiker Golo Mann.[2] Ein Begriff, der sich gleichsam selber schuf. Aus dem Augenblick heraus. Die Französische Revolution – meinte im November 1988 der britische Historiker Theodore Zeldin (*1933) – schuf Klarheit, so, wie es die Franzosen lieben. Doch nun sei eine Zeit der Ungewissheit angebrochen. Für viele Kommentatoren sei dies ein unhaltbarer Zustand. „Aber ich denke, dass es ein Zeichen der Verjüngung ist“, wenn man sich darauf einstellt, dass „sich im Leben in der modernen Welt alles darum dreht, mit dem Unvorhersehbaren fertig zu werden“, schrieb Zeldin.[3]

Zwischen den niedergemetzelten Protesten im Frühjahr 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und dem triumphalen Fall der Mauer im Herbst desselben Jahres auf dem Pariser Platz in Berlin, am Brandenburger Tor, hatte sich die Welt in einem Maße verändert, wie es niemand vorhergesehen hatte. In dem einen Fall wurde jegliches, persönliches, heldenhaft errungenes Selbstbewusstsein zerstört, um das fremdbestimmte Jetzt zu erhalten, in dem anderen Fall wurde jedes persönliche Selbstbewusstsein erhöht, um sich als Kollektiv selbstbestimmt neu zu definieren. Das Volk verstand sich plötzlich als ein Volk.

Nun gehen wir in eine Zukunft,  in der sich alles zu einem Datenstrom vereint. Jeder Augenblick, jedes Jetzt wird eingefangen in einen mächtigen, überallhin wabernden, gottgleichen Datenstrom. Gigantische Mengen von Bits und Bytes, Petas und Zetas werden in Bruchteilen von Sekunden durchwühlt, um daraus unmittelbar künftiges Geschehen zu antizipieren. Alles entscheidet sich jetzt, als sei es für immer. Die ganze Welt, der ganze Wandel, sogar das Wetter, heute, morgen, in dreißig, vierzig Jahren. Die Zukunft geschieht immer. Jetzt. Alles schafft sich aus dem Augenblick. Die Wunder, von denen Mao sprach, geschehen ohne den Menschen, ohne uns.

Donnerwetter. Alles ist bestimmt.

„Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles“, lautet einer der Hammersätze des deutschen Philosophen Theodor W. Adorno (1903-1969).[4] Das ist die Zauberformel, die immer mehr Daten strömen lässt. Es ist das Walle-Walle des 21. Jahrhunderts. Wir wissen, wir müssen alles, was ist, ändern. Dringend. Drängend. Zwingend. Dafür sorgt der Himmel: die Klimakatastrophe. Sie ist alles. Sie ist der große Bestimmer. Sie bestimmt alles. Sie ändert alles, was ist – und will zugleich doch alles bewahren.

Der Klimawandel programmiert uns diktatorisch in eine Zukunft hinein, zu der es keine Alternative gibt. Weder für uns Lebende noch für die Ungeborenen, in deren Namen zu handeln wir uns bereits berufen fühlen. Wir bestimmen jetzt. Fridays for Future. Die Zukunft hat ihre Freitage. Jede Woche.

Nach Jahrzehnten des Winterschlafs werden die alten, Gewissheit schaffenden  Mächte wieder hellwach. Der Staat, die Wissenschaft, die Gemeinschaft. Sie sind die Autoritäten, die uns im Kampf gegen eine Pandemie ebenso leiten wie bei der Bewältigung des Klimawandels. Es sind die Mächte der Mehrheit.Nur ist es alles andere als einfach, Mehrheiten herzustellen. In einer Demokratie. In einer Diktatur ist das viel einfacher. Da herrscht eine Minderheit.

Verdrängt wird dann all das, was das Leben unbestimmt lässt: die Märkte, die Künste, die Gesellschaft in all ihrer Kreativität, intellektuellen (nicht sexuellen) Vielfalt und Vitalität. Sie werden im Angesicht einer überall spürbaren Bedrohung neutralisiert. Alles kontrolliert statt kontrovers. Pflicht statt Recht. Denn die Zeit drängt. Sie drängt sich in das Jetzt. In den Augenblick, der nicht mehr hedonistisch durchlebt werden kann. Protest als permanentes Entertainment. Die Straßen füllen sich. Für einen Augenblick. Schon ist er vorbei. Wir fallen wieder in uns zusammen.

„Im Versuch, im Jetzt zu bleiben, das so geliebt, so anziehend ist und dem man so verfallen ist, weil es sofort zugänglich ist und verführerisch aufdrängt, erlahmt das Selbstbewusstsein mehr und mehr“, sah zur Jahrtausendwende der Künstler Henk Vischer unsere Individualität durch ausufernden Konsum gefährdet. Heute möchten wir – völlig eingeschüchtert – das Jetzt behalten, weil die Zukunft uns kollektiv bedroht.

„Es ist eine Minute vor Zwölf“, mahnte im November 2021 Boris Johnson (*1964) als Ministerpräsident von Großbritannien. Denn die Zukunft, der Klimawandel, war jetzt, unmittelbar jetzt.

Er war in Glasgow. Beim Weltklimagipfel der UNO. Er war überall. Jetzt, im damaligen Monat Elf des Jahres 2021, entschied sich unser Schicksal. So musste kollektiv bestimmt werden. Denn unsere letzte Stunde hatte geschlagen  - es sei denn, wir gaben der Zukunft einen neuen Zeitplan. Jetzt. Jederzeit jetzt.

Die Zukunft hat jetzt keine Zeit mehr für die Zukunft, die aus dem Unbestimmten kommt, aus der Wirtschaft. Aus den Künsten. Aus der Gesellschaft. Im Raum steht der totale Lockdown des Ungewissen.  Die Ukraine, die militärische Sonderoperation des Wladimier Putin, verstärkt es nur, überdeckt, was wirklich ist und doch nicht wirklich erscheint.

Alles muss im Angesicht des Klimawandels neu bestimmt werden, um einen „Absturz unserer Zivilisation, unserer Welt“ zu verhindern, meinte der umstrittene Johnson live vor alles sofort erfassenden und alles sofort verbreitenden Kameras. Ein Trendbruch.

Sein Land, Großbritannien, war es, das vor 250 Jahren mit der Industriellen Revolution durch James Watt und der Entdeckung des Kapitalismus durch den Moralphilosophen Adam Smith jene Entwicklung, hervorbrachte  die uns so viel Wohlstand brachte und deren Ziele nun brüchig geworden sind. Unkontrolliert, unprogrammiert vollzog sich diese Revolution, in der das aus egoistischen Motiven und doch für das Gesamtwohl handelnde Individuum im Mittelpunkt stand.

Die Menschenrechte waren dem Einzelnen, dem Individuum, gewidmet. Sie waren – nach amerikanischem Vorbild – vor allem Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Die Französische Revolution aber schuf den Begriff der Nation, der alles subsumierenden Gemeinschaft, dem Kollektiv. Eine Nation war fortan der „Staatsträger“, wie es Golo Mann formulierte.

Der Klimawandel ist es nun, der die gesamte Menschheit vereinen soll. Aus dem geographischen Jahr, in dem 1957 zum ersten Mal sich die ganze Welt über alle Grenzen und Ideologien hinweg ihre Klimadaten erschloss, wird nun das klimagraphische Jahrhundert. Der Wandel managt uns.Ob wir wollen oder nicht. Es herrscht die Diktatur der Temperatur.

Fast könnte man, fast muss man meinen: Wir gleiten in eine die gesamte  Erde umspannende Verbotszone, in ein autokratisches System, dass alle Kräfte an sich bindet – nach möglicherweise chinesischem Vorbild. Der Lohn ist die absolute Gewissheit: der Plan.

Keine Kohle mehr für Kohle, heißt zum Beispiel eine Forderung an die ganze Welt. Das wäre ein Fortschritt, heißt es unisono. „Das Ende ist jetzt in Sicht“, erklärte Alok Sharma, der Präsident der Weltklimakonferenz. Ja, er sagt sogar: „Jetzt“ und meint zugleich nicht 2030, nicht 2040, sondern irgendwann in den dreißiger und vierziger Jahren unseres neuen, alten Jahrhunderts.[5] So ganz gewiss ist sich also die Welt wohl noch nicht. Aber sie nähert sich ihr von Augenblick zu Augenblick. Unausweichlich.

Jetzt herrscht nicht mehr übernationales Geschehen im Angesicht einer Ewigkeit, sondern das Jetzt avanciert zu einer Deadline, einer Todeslinie, vor der wir jetzt Halt machen müssen. Wir wollen, dass etwas nicht geschieht. Es herrscht das Ungeschehen. Das ist der Wendepunkt dieses Jahrtausends. Das Jetzt als Stoppzeichen. Wir treten auf der Stelle. Und das in einem rasenden Tempo. Wir nennen es Übergang. Aber wohin? Die Frage bleibt unbeantwortet. 

Wir sind hilflos, ratlos.

So kann in Deutschland eine Gruppierung, die sich Alternative für Deutschland nennt und selbst alle Alternativen ignoriert, das Wort „Jetzt“ so besetzen, dass es fast als Parteiprogramm genügt. Zum „Jetzt“ gibt es schon jetzt keine Alternative mehr, mögen wir auch deswegen noch so zahlreich an Wochenenden auf die Straße gehen. Die Demokratie protestiert vergeblich gegen das Jetzt. Es raubt uns den Atem.

Über uns thront und droht der erbarmungslose Gott des Augenblicks, der uns in das Jetzt zwingt, in einen infiniten Übergang, dessen Ende wir nie erreichen. Wie die Französische Revolution, die bis heute ihren eigenen, so selbstgewissen Zielen hinterherläuft. Liberté. Egalité. Fraternité. Aber sind das auch noch unsere Ziele?

„Die Orientierung nach vorne, die Antizipation einer unbestimmten Zukunft, der Kult des Neuen bedeuten in Wahrheit, die Verherrlichung der Aktualität“, urteilte 1980 Jürgen Habermas (*1929), der einst wichtigste Philosoph Deutschlands beim Übergang ins 21. Jahrhundert. Inzwischen hinkt auch er hinterher.

Er hat es lange vor uns geahnt: „In der Aufwertung des Transitorischen, des Flüchtigen, des Ephemeren, in der Feier des Dynamismus spricht sich eben die Sehnsucht nach einer unbefleckten, innehaltenden Gegenwart aus.“

Wir verharren im Übergang. Es gibt nur noch Gegenwart, das Jetzt. Denn in ihm ist alles enthalten. Hier können wir nichts falsch machen. Das Jetzt ist die „Illusion aller Illusionen“, meinte im Jahr 2000 Henk Visch. Es ist Zeit für einen Gegenentwurf. Der sind wir selbst. Wir sind der Widerspruch. Gegen uns selbst. Aber wir merken es noch nicht einmal.

Eigentlich müssten wir gegen uns selbst demonstrieren. Aber dafür sind wir uns selbst zu gut…