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Montag, 3. November 2025

Kunst ohne Kunst

Zum Feuilletonpreis der FAZ 

Von Raimund Vollmer

„Brillant geschrieben“, denkst Du voller Bewunderung und leer allen Neides (oder war es umgekehrt?) bei der Lektüre des Siegertextes von Klaus Rössler, der beim Wettbewerb um den Feuilleton-Preis der FAZ mich und all die anderen Autoren souverän geschlagen hat.

Ich glaube: Rössler hat diesen Preis zu Recht verdient, aber verdient hat er nicht das, was das Blatt daraus machte. Denn so wurde sein Text selbst zu einem Beispiel für eine Kunst, die sich annulliert, weil sie das verliert, wonach sie giert: Aufmerksamkeit. Verschämt versteckte die FAZ diese Geschichte um „verlassene Pixel“ auf die vierte (und damit wenig attraktive, weil auch noch linke) Seite ihres Feuilletons – als sogar „leicht“ gekürzten Text. Ein Text, der immerhin 10.000 Euro Preisgeld teuer war. Er erschien auch nicht in einer lesefreudigen Wochenendausgabe, sondern an einem gelangweilten Mittwoch (29. Oktober 2025). Kommentarlos. Achtlos. Banal. Neben Todesanzeigen. Noch nicht einmal ein Foto von der Übergabe des Preises ist hier zu sehen. Da vermutet man fast schon redaktionelle Verachtung, die sich ja bereits darin zeigte, dass man für die Verlierer kein einziges Wort des persönlichen Respekts übrig hatte. Mit alldem mindert sich auch die Wertschätzung für den Sieger. Schade.

Vielleicht steht dahinter nichts anderes als die eigene Hilflosigkeit in einer Zeit, in der die Leitmedien sogar sich selbst leid sind. Zu Recht.

Viel Poesie steckt in dem Text, der um ein Thema trauert, das gar keins ist: um digitale Kunst. Digitale Kunst ist keine Kunst, sondern eine eingebilderte Technik. Aufmerksamkeitstechnik. Pure Selbst-Sucht, aber eine, die kein Ich mehr kennt, keine Autoren, sondern nur noch sich selbst, ihre eigene Technik, die in der Krypto-Welt komplett funktionslos geworden ist.

So kennt der Text auch keine Künstler mehr - und wenn doch, dann nur unter Pseudonymen wie Beeple, der in Wirklichkeit Mike Winkelmann (*1981) heißt und der 2021 für 69 Millionen Dollar seine „The First 5000 Days“ bei Christie‘s versteigern ließ. Oder er nennt Pak – kein Name mehr, sondern schiere Anonymität, wie die des genialen Blockchainers Satoshi Nakamoto, mit dessen Formeln alle Kunst künstlich wird.

Schaut man sich die Hintergründe der Leute an, die in der Szene die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, so sind sie selbst vor allem multifungibel. Sie sind keine Künstler mehr, sie sind künstlich. Sie sind Investoren, Fondsmanager, Kryptoexperten, Informatiker, vielleicht noch Regisseure. Technisch brillant. Perfekt. Sie sind die künstlichen Ingredienzien eines Marktes, der nur noch sich selbst kennt, nur noch sich selbst verbraucht und sich selbst produziert im Algorithmus einer Zeit, die kein Ziel mehr hat.  Eigentlich braucht er keine Menschen mehr, noch nicht einmal als Betrachter oder gar als Käufer. Diese Kunst verkauft und kauft sich selbst – ein Verdacht, den ich übrigens bei dem ganzen Hype um KI habe. Sie schürft sich unentwegt ihr eigenes Geld, das es ohne sie gar nicht gäbe und niemals den Wert erlangt, den sie vortäuscht. In der KI ist alles künstlich. Und Geld war das schon immer. 

Alles ist Prozess, nichts als Prozess. Künstler sind nur noch Kunstschaffende, die schaffen und schaffen, aber nichts mehr erschaffen, nichts mehr schöpfen. Sie halten nur noch den Kulturprozess am Laufen. Das alles hat wenig mit Kunst zu tun, sondern viel mit Künstlichkeit – mit einer Künstlichkeit, der man die Künstlichkeit nicht mehr ansieht. Sie ist Kitsch, ohne als Kitsch identifiziert zu werden. Sie ist nur noch Täuschung, die niemals mehr enttäuscht werden darf, sondern uns ihr eigenes Lebensrecht vortäuscht.

Es entsteht Kunst ohne uns. Und deshalb sind wir auch bald ohne Kunst. Nur werden wir es nicht merken.

Fast möchte man meinen, dass es die FAZ selbst schon nicht mehr merkt. Sonst hätte sie aus den rund 200 Einsendungen selbst ein Kunstwerk geschaffen – über die Kunst. So jedoch stellt sie die Kunst in eine Ecke. Und man fragt sich: Kann das weg?

Oder täusche ich mich da?

15 Kommentare:

  1. Leidmedien heute - was soll man noch sagen

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  2. War die Preisverleihung nicht schon vergangene Woche???

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  3. Die FAZ ist am Ende - sie hat es nur noch nicht bemerkt. Die schwindende Leserschaft schon

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    1. ....muss man sie deshalb von hinten lesen?
      Dann steht der Rössler tatsächlich auf der ersten Feuilletonseite.
      Nach einem alten Bonmot werden die Todesanzeigen ohnehin zuerst angesehen, weil man gleich wissen will, welcher Widersacher endlich abberufen wurde und für welche man zu Angelus erneut ein gutes Wort fürs Jenseits einlegen muss.

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    2. Die schwindende Leserschaft weniger als die bereits geschwundene Leserschaft

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  4. Künstler > Kunstschaffende. > künstlich Schaffende

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  5. Das was Künstler nach Ihrer Beschreibung heute noch sind, das war schon immer so seit Kunst ein Geschäft ist.
    Ein altes Lied, das nur mit neuen Instrumenten gespielt wird.
    Die Kunst ist immer ohne uns entstanden.
    Wenn es mal gelang, war der 'Künstler' das Medium.

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    1. So ändern sich die Zeiten und mitunter ist es der Zeit zu blöd, sich zu ändern. Dann bleibt es an den Objekten oder Subjekten sich zu ändern.
      Ist Hundertwasser ein Künstler oder ein Farb- und Formenaktivist - wie wir vielleicht heute sagen würden.

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    2. Hundertwasser war ein Tausendsassa. (Ich fand ihn eher kitschig.)

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    3. Hundertwasser war jedenfalls ein Kreativer

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  6. Kunst kommt nicht von Können!

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  7. Ein anderes banaleres Stück aus der 5-Sterneküche der Qualitätspresse:
    Die SZ brachte auf der 1. Wirtschaftsseite ein langes detailliertes Stück, wie man im nächsten Jahr die einzelnen Feiertage so geschickt nutzt, um viele freie Tage für die Work-Life-Balance herauszuholen.

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    1. Work ist doch out – es heißt Woke-Life Balance

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